Einsiedel die Perle im Zwönitztal
Einsiedel-2

Eine Erzählung nach historischen Angaben mit Phantasie, gestaltet von Erich Schemionek

Es war ein sonniger und heißer Herbsttag im Jahre 1570. Da ertönten lustig und übermütig in den Wälder um Einsiedel die Jagdhörner, denn der Kurfürst August, war höchsteigen hierher gekommen, um seiner Jagdlust zu frönen. Hatte er doch vom Herrn Haubold von Einsiedel, dem die Wälder gehörten, für 600 Meißnische Gulden und etliche Stück Wild, das Jagdrecht erworben. Und der Herr Haubold von Einsiedel war nicht geizig, wenn nach dem Halali sein hoher Gast auf seinem Herrensitz in Dittersdorf bei ihm einkehrte, ließ sich doch da bei froher Tafelrunde so manches abmachen, was sonst auf dem Amtswege Da schritten zwei Jägersleute ( der Kurfürst und der Herr von Einsiedel) im erregten Gespräch die Lichtung talabwärts. “Ich habe einen mordsmäßigen Durst”, sagte der Kurfürst. “Ja” sagt der Herr von Einsiedel, “der Richter da unten soll ein gut Bier verzapfen, eine Probe wird uns gewiß nicht zum Schaden sein!”
So kamen sie bald an den Fluß, der mehrmals die Kempnitz geheißen und nach ein paar hundert Schritten flußabwärts erreichten sie das Lehngericht, das an der Stelle der alten Apotheke am Plan gestanden hat. Der Hof des Lehngerichtes wurde von drei Gebäuden umschlossen, dem Wohnhaus, dem Stall und einer Scheune. An der hinteren Front am Berghang zog sich der Garten hin, wo im Gebüsch versteckt eine Laube stand. In der Mitte des Hofes war ein Brunnen, Bierfässer lagen umher, und vor der Haustür waren einige Tische und Stühle aufgestellt. Der Braugeselle, ein kräftiger junger Bursche, der aus Böhmen eingewandert war, hantierte an den Fässern herum. Er war schlechter Laune, hatte er sich doch die Tochter des Richters die Nannerl, in den Kopf gesetzt, aber der Richter wollte keinen hergelaufenen Böhmen, wie er sich ausdrückte, zum Eidam haben.
Die beiden Jäger waren inzwischen in den Hof getreten und da sie ermüdet waren, setzten sie sich an einen der leeren Tische, “Befehlen Euer Gnaden, daß ich die Säumigen an ihre Gastpflicht gemahne?” Versetzte bier- und tatendurstig der Herr von Einsiedel, zog die Glocke, und nach einer Weile erschien in der geöffneten Tür ein junges Mädchen gut gekleidet, mit einem rotwangigen Gesicht. “Holder Engel !” hob der Kurfürst an zu sprechen, “Hier sind zwei halbverdurstete Jäger des Kurfürsten. Willst du unsere Kehlen nicht mit einem würzigen Einsiedler Bier erfrischen ?". “Vom Kurfürsten seid Ihr”, sagte die kleine freundlich. “Na gut! Ich will Euch ausnahmsweise zwei Maß Bier bringen, wenn ihr mir versprecht, uns nicht in Kempnitz zu verklatschen, denn wir liegen innerhalb der Kempnitzer Bannmeile und dürfen nicht brauen und nicht schenken. Ist das in Ordnung ?", sagt das Nannerl. “In Ordnung ist das nicht”, entgegnete der Kurfürst. “Aber gehet besser mit in die Laube da hinten, da ist ungestört zu trinken und zu plaudern". Und während die beiden Jäger in der Laube den Gang der Jagd betrachten, gab es im Lehngericht recht aufregende Minuten.
Da kam ein Bauer wie vom Teufel gehetzt daher gerannt, riß fast die Glocke herunter und schrie ins Haus hinein: “Die Kempnitzer kommen! Die Kempnitzer Bierbrauer sind unterwegs!” Aus dem Gewirr der Stimmen, der des Richters, des Braugesellen und der Nannerl hörte man nur heraus, daß die Kempnitzer einen Anschlag auf das Lehngericht vor hatten und bereits in Erfenschlag gesehen wurden. “Es gibt wieder Bierkrieg in Einsiedel, ihr Jäger werdet Zeuge sein !” sagt die Nannerl zu den beiden Jägern die sich immer noch in der abseits gelegenen Laube aufhielten.
Die Nannerl und ein Bauer wurden ins Dorf geschickt, um Verstärkung zu holen. Der Richter und der Braugesell machten sich am Tor zu schaffen, das durch die vergangenen Kämpfe schon stark gelitten hatte. Da kam der Bauer und Nannerl zurück, sie brachten drei Leute mit. “Ja”, fuhr die Nannerl fort. “Der Uhligbauer, den sie neulich zerschunden haben, weigert sich, und sagt: "Der Einsiedler mag sich mit den Kempnitzern auseinandersetzen, dann brauchen die kleinen Leute keinen Krieg zu machen". Und solches haben uns die Frauen beim Rößler auch gesagt" ! Da schlägt der Richter das Tor zu, der Gesell springt herbei und sagt: “Laßt mich den Wortführer machen”, “wenn du willst, gut!” sagte der Richter. Inzwischen waren die Kempnitzer von Erfenschlag bis zum Lehngericht gekommen.
Der Kampf begann jedesmal mit einem Wortgefecht, bei dem sich jeder auf sein Recht berief und den anderen des Rechtsbruchs bezichtigte. So war es auch diesmal. Die Kempnitzer kamen mit zwanzig Mann anmarschiert, teils mit Stöcken, teils mit Brecheisen bewaffnet. Sie stellten sich vor dem Tor auf und gaben durch laute Rufe ihre Anwesenheit zu erkennen. Als sich der Bauer auf dem Hof zeigte, trat auf der anderen Seite ebenfalls ein Sprecher vor, und nun begann folgendes Zwiegespräch:
Der Kempnitzer: “Bist du geschickt mit uns zu verhandeln?”
Der Einsiedler: “Ich bin’s!”
Der Kempnitzer: “So bringen wir erneut unsere Anklage vor. Wir, die Innung der Bierbauer zu Kempnitz, beschuldigen Euch Richter zu Einsiedel, daß Ihr den Erlaß des Landesherrn von Anno 1334 sowie das Recht der Innung sträflich verletzt und gebrochen habt. Der Erlaß, den ich aus dem Lateinischem wortgetreu übersetzt hier zur Vorlesung bringe ist folgender! “Wir, Friedrich, Markgraf von Meißen, erachte jenes alte Gewohnheitsrecht, das Schenken, Handwerke und sonstige Betriebe innerhalb einer Meile rings um Kempnitz verbietet, für gut und recht, weshalb wir es bestätigen, genehmigen und billigen. Wir untersagen allen und jeden unter Androhung unserer schweren bestätigen, genehmigen und billigen. Wir untersagen allen und jeden unter Androhung unserer schweren Ungnade innerhalb einer Meile rings um Kempnitz irgendwie Schänken, Schuh- und Schneiderstätten und andere handwerksmäßige Betriebe zu halten oder durch jemand zu halten, mit Ausnahme derer, die sich auf uralte Abmachungen berufen können! ”Der Einsiedler: “Dem Erlaß stimmen wir voll und ganz zu. Wir verweisen dabei auf den letzten Satz, wo geschrieben steht: "Mit Ausnahme derer, die sich auf uralte Abmachungen berufen können". ”Der Kempnitzer: “Wir Kempnitzer behaupten, daß eine derartige Abmachung nirgends Vorhanden ist. Auch im Grimmschen Vertrag von 1555 ist den Einsiedlern das Bierbrauen nicht erlaubt. "Der Einsiedler: “Hierzu ist zu erwidern, daß der Herr von Einsiedel in seinen Dörfern eigene Gerichtsbarkeit hat und sie also nicht dem Kempnitzer Recht unterstellt sind. Was aber den Grimmschen Vertrag anbelangt, so steht auch darin, daß die Kempnitzer keine Gewallt anwenden sollten, sondern die ordentlichen Gerichte anzurufen haben. "Der Kempnitzer: “Habt ihr uns noch was mitzuteilen? "Der Einsiedler: “Wir verurteilen Eure Handlungsweise und werden beim Kurfürsten Einspruch erheben. Wir sagen: Geht heim und nehmt Vernunft an!” "Das war das Signal für die Kempnitzer zum Angriff. “Tut was Euer Rechtens ist,” rief der Sprecher der Kempnitzer und trat zur Seite, dieweil ein Steinhagel gegen das Tor prasselte. Der Kurfürst, welcher noch immer mit dem Herrn von Einsiedel abseits in der Laube saß, und den Meinungsstreit gehört hatte, fieberte vor Erregung. Diese Räuber mißachteten seine Gesetze und machen Krieg im eigenen Land. “Also ob wir keine Gerichte hätten!” sagte er, “denen werd ich´s noch zeigen, wer Herr im Staat ist!” “Aber der Bursch da ist prächtig, wie er das Recht vertrat!” Die Einsiedler hatten sich inzwischen in das Haus zurückgezogen, denn das Tor krachte in allen Fugen und mit einem Male stürzte es zusammen. Nun ginge es mit Brecheisen gegen die schwere Eichentür des Wohnhauses vor, man riß sie aus den Angeln und der Weg ins Hausinnere war frei.
Der Herr von Einsiedel näherte sich klopfenden Herzens und späte vorsichtig in die dunkle Hausflur hinein. Dort war der Teufel los. Man wuchtete Türen ein schlug wild um sich und fluchte und schrie, dazwischen klirrten Scheiben, Kübel und Braugeräte flogen durch die Fenster auf den Hof. Die Einsiedler, die sich vor der Übermacht in ein sicheres Versteck geflüchtet hatten, wagten einen neuen Vorstoß, um zu retten, was noch möglich war. Der Richter schlug in seiner Wut allein drei Kempnitzer zu Boden. Auch der Braugeselle hieb wacker um sich und tat sein bestes. Aber bald ließen die Kräfte nach und die rasende Meute holte zum letzten Angriff aus. Mit Rufen: “schlagt sie tot!” drängten sie ein paar Verteidiger in die Enge und hätten ein furchtbares Ende bereitet, wenn nicht der Herr von Einsiedel so laut als er konnte, geschrien hätte: “Der Kurfürst kommt!” Und wie eine Lawine ging’s von Mund zu Mund: “Der Kurfürst kommt!” In diesem Augenblick hatte der Fürst die Laube verlassen und war über den Hof gesprungen; kochend vor Wut stand er vor der Tür. - Da kamen sie heraus wie arme Sünder blutend, zerschlagen und mit zerfetzten Gewändern. Sie knieten sich vor dem Fürsten nieder. Einer sprach: “Durchlauchtigster Herr! Wir haben nur unser Recht verteidigt. Nach dem Grimmschen Vertrag. “Red er nicht von Vertrag und Recht!” Brauste der Kurfürst auf, “Mordbrenner seid Ihr, die weder Gesetz noch Recht respektieren. Noch gibt´s Gerichte im Land, und was den Gimmschen Vertrag anbetrifft, so werd ich Klarheit schaffen, das könnt Ihr sicher sein! Was aber diesen Raubzug anbelangt, so sollt man Euch als Aufrührer allesamt aufhängen!” “Gnade! Hoher Herr!” ging es durch die Reihen. Andere sagten: “Erlauchter Herr! Wir sehen ein, daß wir unrecht gehandelt haben und keine Gewalt anwenden durften. Wir werden den Einsiedlern Genugtuung geben und den Schaden ersetzen. Wegen der Strafe aber bitten wir alluntertänigst um Nachsicht!” “Geht mir jetzt aus den Augen!” befahl der Fürst. “Ihr werdet in Kempnitz von mir hören!” Da wankten sie zum Tore hinaus mit bleichen Gesichtern und zerknirschten Minen.
Der Richter wollte Worte des Dankes vorbringen, aber der Fürst wehrte ab und sagte: “Verbindet erst Eure Schmarren und wascht Euch das Blut aus dem Gesicht, dann wollen wir uns zusammensetzen und die Sach bereden!” So saßen sie nun zwischen den Trümmern der glücklich beendeten Schlacht, zwischen Holzkübeln, Glasscherben, losgerissenen Brettern und allerlei Hausgeräte, und besprachen die Ereignisse des Tages.
Inzwischen kam der Wirt zurück und bat die Herren in sein Gästezimmer. “Ich bitte Euer Durchlaucht und Euch, verehrter Herr von Einsiedel, einen kleinen Imbiß bei mir einzunehmen. “Hoffentlich macht Ihr mir kein Gericht!” sagte lächelnd der Herr von Einsiedel, ich habe zwar ältere Rechte als die Kempnitzer, aber es ist an der Zeit, durch landesherrlichen Erlaß diese erneut kundzutun. Der Fürst sagte zu, und die beiden führten, weiter in das Gespräch vertieft, den hohen Gast ins Haus.
Während die Herren im Lehngericht zu Tisch saßen, räumten Nannerl und der Geselle im Hof die Scherben zusammen. Der Richter aber sagte zu beiden: “Da hat mir der Fürst versprochen, das Einsiedel sein eigen Bier brauen und verzapfen darf, ja, es soll auch einen neuen Wirt haben, sozusagen ein neues Wirtspaar, und das sollt Ihr Nannerl und Gesell miteinander sein.”

So macht ein seltsames Zusammentreffen Weltgeschichte.

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2015 © Copyright by Bernd Obermaier  Projektstart: 25.07.2000 aktueller Stand vom 03.01.2015
154 Seiten Einsiedler Geschichte,