Einsiedel die Perle im Zwönitztal
Einsiedel-2

Ein altes Chemnitzer Ausflugsziel von Felix Göckeritz

Schon zu Väterzeiten war die freundliche Gemeinde Einsiedel im lieblichen Zwönitztal ein beliebtes Ausflugsziel der Chemnitzer. Die breite Landstraße, die heute von lebhaften Kraftwagenverkehr beherrscht wird, sah damals allsonntäglich die eleganten Landauer, von prachtvollen Pferden gezogen, ein Zeichen des großstädtischen Wohlstandes, hinaus nach Einsiedel fahren. Über die Zschopauer Straße, durch Reichenhain, durch das Zwönitztal oder über den Pfarrhübel wanderten die alten Chemnitzer schon in den 80er Jahren. und vielleicht noch früher an Sonn- und Feiertagen nach Einsiedel, und die alten Einsiedler Gaststätten können schon aus dieser längst verklungenen Jahren von einem regelrechten Wochenendverkehr erzählen.
Jahre und Jahrzehnte sind vergangen. Der elegante Landauer von einst wurde abgelöst von dem schnittigen Kraftwagen. Eisenbahn und Kraftwagenlinien haben neue, einst ungeahnte Verkehrsverbindungen, haben vollkommen neue Entfernungsbegriffe geschaffen. Aber das so idyllisch ins Zwönitztal gebettete Einsiedel hat zur Sommer- wie zur Winterzeit seine Anziehungskraft auf die Großstädter bewahrt.
Noch heute pilgern die wanderfrohen Chemnitzer gern über den Pfarrhübel, der ihnen ein so unvergleichlich schönes Panorama ins erzgebirgische Land eröffnet, durch abwechslungsreiche, vielgewundene Zwönitztal oder über die Zschopauer Straße und durch die herrlichen Wälder, die sich von der Höhe der Straße hinab ins Tal ziehen, hinaus nach Einsiedel und bringen an schönen Sonntagen einen lebhaften Fremdenverkehr in den waldumrauschten Talkessel.
Das mag auch der Tatsache heraus, daß im unaufhaltsamen Zuge der Entwicklung die der Großstadt vorgelagerten Gemeinden naturnotwendig im laufe der Jahrzehnte mehr und mehr von ihrer Eigenart und ihrer Unberührtheit verlieren, der mit den Dingen vertraut ist, seine natürliche Erklärung in drei Umständen: in der Landschaft, in der Art der heimischen Industrie und im Geiste der Gemeindeverwaltung.
Die Bewohner von Einsiedeln haben es frühzeitig gelernt, ihren Ehrgeiz in der Schönheit ihrer Heimat zu setzen. Der ganze Ort macht einen bestechend freundlichen und sauberen, einen überaus gepflegten Eindruck, so daß sich der Fremdling hier unwillkürlich wohl fühlen muß. Durch einen Wettbewerb für Blumenschmuck und Vorgartenpflege hat man das Bild der Straßen wesentlich zu verschönern gewußt und die Gemeinde selbst geht mit gutem Beispiel voran. Das im Jahre 1901 erbaute stattliche Rathaus mit seiner farbenbunten Fülle, üppig wuchernden Blumenkästen, ist eine eindrucksvolle Visitenkarte für die Gemeinde und die Tatsache allein, daß man die heute zur Staatsstraße erklärte Hauptverkehrsader des Ortes nach wie vor kehren läßt, ist Zeugnis dafür, daß man in Einsiedel in vorbildlicher Weise praktische Fremdenverkehrswerbung zu treiben versteht.
Die einheimische Industrie, die das wirtschaftliche Rückgrat der Gemeinde bildet, hat den Vorzug, daß sie vollkommen geräuschlos arbeitet und nirgends den tiefen Frieden des Tales stört. Die großen Anlagen haben sich fast unmerklich dem Gesamtbilde eingegliedert und verschwinden vor dem Auge in dem weiten grünen Meere der Baumwipfel. Das Entscheidene für den vom Wechsel der Zeiten unberührten starken Fremdenverkehr mag wohl die Landschaft selbst sein.
Einsiedel ist eingebettet in hoch, aber sanft ansteigende Höhen, ist umgürtet von einem einzigen Kranze lieblicher Wälder, die sich fast ununterbrochen gen Osten bis zur Augustusburg und gen Süden bis an den Fichtelberg ziehen und so auch in den Jahren nicht zu erschöpfenden Wandermöglichkeiten bieten.
Bis hart an die Häuserreihen selbst herein zieht sich der grüne Waldesdom und wenige Schritte braucht man im Sommer nur zu gehen, um dem Ruf des Kuckucks zu lauschen, um an sonnengoldenen Sommerabenden die schlanken Rehe zu beobachten, die oft in ganzen Rudeln aus dem Walde treten und furchtlos auf den Wiesen äsen. Nur wenige Schritte braucht man zu wandern, um ganz umgeben zu sein von der urewigen Erhabenheit der Waldesstille oder an sonnigen Wintertagen den köstlichen Zauber des verschneiten Märchenwaldes genießen zu können.
Nur kurze Wegstrecke braucht man, ob nach Osten oder nach Westen, die Höhen emporzuklimmen, um ein überwältigend schönes Bild zu finden von dem lieblichen Talgrund, der Einsiedel umschließt. Wie eine Insel liegt der Ort inmitten des weiten, beinahe unendlichen anmutenden grünen Mantels der Wälder, traulich hingeschmiegt in der Schutz der ansteigenden Höhen und die harmonische Geschlossenheit des kleinen Häusermeeres, die durch keinen einzigen eigenwilligen Mißklang gestört wird, erhöht doppelt die Eindruckskraft dieses Bildes.
Es liegt etwas unendliche liebliches in diesem Anblick, etwas Liebliches, das eigentlich gar nicht der strenge ernsten Herbheit der erzgebirgischen Landschaft entspricht. Es ist etwas lebensfrohes, was das Bild erfüllt und unwillkürlich an den Reiz eines gepflegten Kurortes erinnert. Vielleicht ist es sogar das, was beim Anblick so bezwingt, dieses Lebensfrohe, das unbewußt, ein Mitschwingen er eigenen Seele auslöst, wenn die Sonne ihren schimmernden Strahlenkranz um das Tal breitet und alle Schönheiten und allen Reizen dieses köstlichen Stückes Heimaterde doppelt zum Bewußtsein bringt.
Man kann die Bilder, die sich von den Höhen aus eröffnen, nicht beschreiben. Sie sind immer wieder anders und immer wieder neu und bestricken darum immer wieder, ob man nun vom Pfarrhübel aus hinab ins Tal schaut, über dem, fast wie eine trutzige Feste anzusehen, aus grünem Wipfelmeere die massige Talsperrenmauer auftaucht, ob man von der gegenüberliegenden Höhe aus den Blick schweifen läßt auf die echt erzgebirgisch ineinander und hintereinander aufgetürmten Berghänge, zwischen denen, ein überwältigend schöner Anblick, das eine im Tale, die beiden anderen hoch droben auf der Höhe, drei Kirchenlein sichtbar werden und sich das vielgewundene Zwönitztal, waldumsäumt, in einem Labyrinth von Bergen, Höhen und Wäldern zu verlieren scheint. Man kann all das nicht in armseligen Wörtern beschreiben, man muß sich das erwandern und im Erwandern tief in der Brust erleben. Dann erst versteht man den wundersamen, den vielleicht für unsere Landschaft einmaligen Zauber, der unberührt von der Nähe der Großstadt von dem lieblichen Einsiedel heute noch ausgeht, wie er von ihm zu Großvaterszeiten ausgegangen ist.
 
erschienen im Chemnitzer Tageblatt vom November 1936
 

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2015 © Copyright by Bernd Obermaier  Projektstart: 25.07.2000 aktueller Stand vom 03.01.2015
154 Seiten Einsiedler Geschichte,