Wie eine Gartenstadt mutet Einsiedel an
Das Bild des Ortes selbst ist durchaus würdig seines wundervollen landschaftlichen Rahmens. Ausgezeichnet gepflegte Straßen und liebevoll betreute Gärten, wir sagten es schon, bilden den ersten angenehmen Eindruck. Der aber wird verstärkt, je weiter man durch Einsiedel wandert. Wie eine Gartenstadt mutet der Ort an, wenn man von Erfenschlag herkommt. Die freundlichen sauberen Häuser träumen alle in weiten Gärten und missen nichts von der Eintönigkeit gleichmäßiger städtischer Straßenreihen. Erst das Rathaus mit seiner verständnisvoll und geschickt gestalteten Umgebung trägt eine städtische Note in das Ortsbild. Breit und wuchtig steht es an der Straße, bewußt stark eingerückt, so das seine Bedeutung städtebaulich noch mehr betont wird. Schräg gegenüber befindet sich das stattliche Postamt, das durch breite Schmuckanlagen noch besonders gefällig wirkt, und schräg zu diesen steht der Bahnhof, dessen technische Anlage gegenwärtig auf das neuzeitliche umgestaltet wird. Rathaus, Postamt und Bahnhof, sie bilden das Herz und zugleich den verkehrstechnischen Zentralpunkt der Gemeinde und sind räumlich so glücklich zueinander gelegen, daß nicht ein Augenblick für den Fremdling etwas Beengendes, etwas Bedrückendes aufkommen kann. Wenige Schritte weiter wird die städtische Note schon wieder abgelöst von einem ausgesprochenen Idyll. Es ist der breite Franz-Seldte-Platz, der bisherige Kirmesplatz, der in absehbarer Zeit zu einer Schmuckanlage ausgestaltet werden soll. Der breite Platz wird an seiner Südseite abgeschlossen von dem langen altertümlichen Fachwerkbau der heutigen Apotheke, dem letzten Zeugen, wie man behauptet, der einstmaligen Gräflich Einsiedelschen Gerichtsbarkeit. Ein Gasthof steht am Wege. Beherrscht aber wird der Platz, auf dem das schlichte Kriegerdenkmal von 1870/71 steht, von dem schönen Gotteshaus, das hart überm Tale auf der Höhe steht und umgeben ist von der neuen und der alten Schule und der Kantorei. Wie der treue Wächter der Gemeinde, ein stummer Mahner, ragt der Turm des Gotteshauses über das Tal, die Blicke aus der Tiefe emporweisend zur Höhe. Vom Franz-Seldte-Platz ist es nicht mehr weit bis zum eindrucksvollen Adolf-Hitler-Platz, um den sich ein vollkommen neues, stattliches und städtebaulich schönes Häuserviereck gruppiert. Es wird bestimmt durch zwei wuchtige neuzeitliche Brückenbauten über den verschlungenen Lauf der Zwönitz, durch die man eine Straßenstrecke von 600 Metern einspart. Es sind hauptsächlich Häuser der Gemeinde und der Baugenossenschaft, die hier entstanden sind, Häuser, die würdige Wohnstätten darstellen und schon in ihrem Baugedanken die Fürsorge der Gemeinde Einsiedel für ihre Einwohner verkörpern. Auf der Höhe des Bergfriedhofes aber, auf dem in der geliebten Heimaterde auch der von Rotmord in Chemnitz hingemeuchelte Kurt Günther unvergessen in seinem frühen Ehrengrabe schlummert, steht auch, von Laubbäumen umrahmt, das in seiner phrasenlosen Schlichtheit so urdeutsch anmutende Ehrenmal für die Helden von 1814-1819. Es grüßt weit hinaus in die Täler und über die Höhen der Heimat, Ehrenmal und Mahnmal zugleich in seiner stummen und steinernen Sprache. Seit dem 13. Juli 1935 ist nach Einsiedel auch Berbisdorf auf der Höhe über dem Zwönitztal eingemeindet. Es hat einige bedeutende Strumpffabriken, im allgemeinen aber eine noch stark ausgeprägte Landwirtschaft Einsiedel mitgebracht und gleichzeitig die Gesamtgrundfläche der Gemeinde auf 1047 Hektar erhöht. Heute erstreckt sich Einsiedel von der Höhe der Zschopauer Straße hinab ins Tal und wieder hinauf auf die Höhe des Geiersberges, und wird begrenzt von Erfenschlag, Harthau, Klaffenbach, Burkhardtsdorf, Kemtau-Eibenberg, Dittersdorf, Altenhain und Adelsberg. Das Wirtschaftsleben wurde einstmals reguliert von der ehemaligen Papierfabrik, die fast 500 Leute beschäftigte und als ein Ventil der Wirtschaft angesehen wurde. Die Möglichkeit, hier jederzeit ungelernte Arbeiter zu beschäftigen, glich Konjunkturschwankungen in den anderen Industriezweigen leicht aus. Aber sie ist stillgelegt worden, und alle Bemühungen der Gemeinde, sie wieder in Gang zu bringen, sind gescheitert. Was es für die Gemeinde bedeuten mußte, das dieser Betrieb mit seinen rund 500 Beschäftigten stillgelegt wurde, erhellt am besten aus der Tatsache, daß die Höchstzahl der Erwerbslosen überhaupt nur 800 betrug. Heute ist es gelungen, diese Zahl wieder auf etwa 150 zu senken. Die innerlich gesund gebliebenen und durch die Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung kraftvoll geförderten übrigen Industrien haben sie aufgenommen und ihnen wieder Lohn und Brot gegeben. Heute zählt man in den einheimischen Betrieben 1965 Beschäftigte und 268 Heimarbeiter der Textilindustrie. Von diesen wohnen 692 auswärts und kommen von ihren Wohnstätten zur Arbeit nach hier, während 795 hiesige Einwohner auswärts im Produktionsprozess, meist in der Chemnitzer Metallindustrie, teils aber auch talaufwärts in der Textilindustrie stehen. Eine weitere Senkung der restlichen Erwerbslosenzahl darf man von dem großen Straßenbauvorhaben erwarten, mit dem voraussichtlich in aller Kürze begonnen werden wird. Man wird jetzt den Bau der drei Jahrzehnten geplanten Entlastungsstraße verwirklichen, der von der Grenze gegen Erfenschlag ab zwei Bahnübergänge überflüssig machen und links der Eisenbahn in 14 Meter Breite bis zum “Kaiserhof” in Einsiedel führen soll. Der Bau der Straße, der mit Zuschüssen des Reiches, des Staates und der Eisenbahn finanziert wurde, stellt eine wesentliche Verkehrsverbesserung nach dem Erzgebirge dar und wird auf viele Monate hinaus zahlreichen Erwerbslosen Lohn und Brot geben. Die einheimische Industrie ist vielgestaltig. Sie umfaßt die Eisengießerei, die als sehr gut beschäftigt bezeichnet wird, die Verbandsstoff-und Wattestoffabrikation, die Zellstoffherstellung, die Strumpffabrikation, die sich zum Teil eines starken Exportes erfreut und teilweise in mehreren Schichten arbeitet, die Trikotagenfabrikation, den Textilmaschienenbau, der ebenfalls stark für das Ausland beschäftigt ist, die Zwirnerei und den Sägewerksbetrieb. Am Orte befindliche Gärtnerei und Baumschulenbetriebe zeigen überaus gut gepflegte und reichhaltige Bestände und auch das Brauwesen, das schon in frühen Zeiten weithin Berühmtheit erlangte, stellt einen bemerkenswerten Faktor des einheimischen Wirtschaftsleben dar. Die Betriebe, die teilweise Großbetriebe mit Belegschaften bis zu 300 köpfen sind, sind vielfach ganz modern eingerichtet und mit den neusten Maschinen ausgestattet. Die Landwirtschaft ist am ausgeprägsten im Ortsteil Berbisdorf. Sie umfaßt insgesamt 50 Landwirtschaftliche Betriebe, von denen die Mehrzahl Erbhöfe sind. Einige unter ihnen haben einen Grundbesitz von 60-70 Acker aufzuweisen. Die Heimatscholle ist fruchtbar und lohnt die zähe Arbeit des Bauern, wenn auch das Gelände die Feldarbeit vielfach mühevoll macht.
Ein Bericht aus der Beilage zum Chemnitzer Tageblatt von 1936
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